M 48° 15′ 24.13″ N, 14° 30′ 6.31″ E

Analoge Fotografietechniken
2017 ongoing | verschiedene Größen | siehe Portfolio für Details samt Kontextualisierungen

PORTFOLIO | M 48° 15′ 24.13″ N, 14° 30′ 6.31″ E

WOLFGANG HUBER LANG | M 48° 15′ 24.13″ N, 14° 30′ 6.31″ E

Der Ausstellungstitel könnte sachlicher nicht sein: M 48° 15′ 24.13″ N, 14° 30′ 6.31″ E. Es handelt sich um die Koordinaten von Mauthausen. Marko Zink geht es nicht um Dokumentation, sondern um Irritation. Er zwingt zum genauen Hinsehen und eröffnet eine vielschichtige Auseinandersetzung. Mit fotografischen Mitteln versucht er ein zweifaches Verschwinden sichtbar zu machen: die Auslöschung von Menschen und die Tilgung von Erinnerung. Ihm liegt an einer intensiven Beschäftigung mit einer Vergangenheit, die nicht verjährt. Die von Marko Zink gewählte Kunstform ist die analoge Fotografie. Er bearbeitet seine Filme, ehe er sie belichtet. Er kocht oder stanzt sie, behandelt sie mit Chlor oder Tintentod. Mit diesem filigranen Filmmaterial fotografiert er ausgewählte Orte in- und außerhalb des ehemaligen Konzentrationslagers. Manchmal wirken Zinks Fotoarbeiten wie historische Fundstücke, rasch und heimlich aufgenommen, ausgebleicht von der Sonne, halb zerstört durch die Einwirkungen der Zeit. Manchmal scheinen die Fotos mit ihren Beschädigungen auf einer eigenen Ebene von jenem Ungeheuerlichen zu berichten, das sich hier vor weniger als acht Jahrzehnten zugetragen hat. Und manchmal scheint auf ihnen etwas sichtbar zu werden, was nur scheinbar nicht mehr zu sehen ist. Marko Zink erinnert uns mit seiner Arbeit daran, dass es möglich ist: Was an das Vergangene erinnert und was vor dem Kommenden warnt, es ließe sich alles sehen. Wenn wir nur wollen.

MARKO ZINK | M 48° 15′ 24.13″ N, 14° 30′ 6.31″ E

Mauthausen steht in Österreich für den Holocaust, für die unsagbarsten, unmenschlichsten Gräueltaten in der Geschichte dieses Landes.

Mauthausen ist ein Gebäude, ein Erinnerungsort, eine Gedenkstätte, exponiert auf einem Hügel, dem flüchtigen Blick nach wie vor verborgen, umringt von blühendem Ackerbau und Hochsitzen.

Wussten Sie, dass mittlerweile alle Duschköpfe der ehemaligen Gaskammer nicht mehr vorhanden sind, von Besuchern einfach heimlich entfernt wurden?

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde jeder demokratische Erfolg hinweggefegt, es blieb nichts übrig als der Hass auf Menschen, auf jedes Individuum, das der Rassenideologie widersprach. Feindbilder wurden geschaffen, die Bevölkerung wurde manipuliert und ließ sich manipulieren, das somit geschaffene Kollektiv löschte das selbstbestimmte Wesen aus. Damit war das vermeintlich „Andere“ als amorphe Masse und für die Auslöschung bestimmt.

Wussten Sie, dass in den Häftlingsbaracken (52 × 8 Meter) im Durchschnitt 500 Gefangene „untergebracht“ waren?

Dieses System hat uns zu Tätern gemacht. Sowohl der (kollektive) Erklärungsversuch ‒ „Wir haben das nicht gewusst“ ‒ als auch die These, Österreich selbst sei ein Opfer Deutschlands gewesen, halten sich bis heute, doch dieses vermeintlich sanfte Ruhekissen ist keines und war auch niemals eines.

Wussten Sie, dass es direkt in Mauthausen einen Fußballplatz gab, der sich neben der „Quarantänestation“ befand, und dass während des KZ-Betriebes nicht nur SS-Offiziere, sondern die Bewohner der Umgebung dorthin zu großen Fußballspielen eingeladen wurden?

Wussten Sie, dass kurz vor der „Befreiung“ Tausende Tote in aller Eile unter diesem Sportplatz verscharrt wurden, genauso wie im unmittelbaren Umland bei einem der bedeutendsten Aussichtspunkte der Umgebung, der „Marbacher Linde“, ohne dass es dort einen einzigen Hinweis auf das dort Geschehene gibt?

Wussten Sie, dass diese Toten erst in den Sechzigerjahren exhumiert und jahrelang in Särgen in einer Kaserne beim Garagenhof direkt im ehemaligen KZ gelagert wurden, ehe die identifizierten Toten in „ihr“ Land geflogen und dort bestattet werden konnten?

Diese Fragen führen zu meiner mehrteiligen Bilderserie. Ergänzt werden die Arbeiten durch Bildtitel, die verschiedene Zugänge/Perspektiven ermöglichen: Geodaten, Hintergründe der jeweiligen Aufnahmen, Werken Theodor W. Adornos entlehnte Titel und Titel von Thomas Licek, dem Projektleiter des Monats der Fotografie Wien.

FELICITAS HEIMANN JELINEK | Durch die Linse des Marko Zink

Die Realität auf Marko Zinks Fotos ist inszeniert. Es ist die Realität des Fotografen, eine Realität, in die er aktiv eingreift. Da die Fotos analog geschaffen sind, gibt es Filmrollen. Diese wurden manipuliert. Negative wurden gekocht, vor der Belichtung mit Säure und Tintentod behandelt, gelocht, gestanzt, lasiert oder mit Kratzern versehen. Die Ausarbeitungen erfolgten in unterschiedlichen Formaten. Die manipulierten Filmrollen führen zu manipulierten Fotos. Die Fotos zeigen eine Wirklichkeit, die es in dieser Form nicht gibt. Sie ist Werk des Fotografen.

Die dahinterstehende Absicht ist mehrdeutig: Zum einen suggerieren die Bilder, historische Fotos zu sein, die als Opfer der Zeit im Verschwinden, in Auflösung begriffen seien. Sie lösen ein Gefühl der Ohnmacht darüber aus, dass auch die Vergangenheit der Konzentrationslager in ihrer tatsächlichen Realität nicht festzuhalten ist. Sie verdeutlichen schmerzhaft, dass Lebens- und Leidenswirklichkeiten in Mauthausen – auch in Anbetracht der sich minimierenden Zeitzeugenschaft – immer weniger nachvollziehbar sind, dass wir uns nicht vorstellen können, „in so viel Leiden geworfen zu sein“, wie es der ehemalige Häftling Pablo Escribano formulierte. Jenseits der Angst, die Realität der Zeugen zu verlieren, wird die emotionale Wirkung, die von dem Ort Konzentrationslager Mauthausen ausgeht, durch die Spuren der chemischen Manipulation erhöht. Dies ist bei fotokünstlerischen Arbeiten zum Thema Schoah möglich. Sie können sich der Diskussion um den adäquaten Umgang mit historischem Quellenmaterial entziehen, da sie ihr Sujet transformieren. Zum anderen sind die Fotos eine Herausforderung für die Betrachter, wird doch ihre Seh- und Interpretationskompetenz hinterfragt. Wenn sie sich darauf einlassen, werden sie in die Beschäftigung mit dem Ort gezwungen.

(…)

Der Ansatz für Marko Zinks Fotos – und ich nenne sie bewusst nicht „Fotoserie“, da ihnen jedweder serielle Charakter fehlt – ist ein unverbraucht neuer. Es ist ein Ansatz, der sich der ritualisierten Form der Erinnerung an die Nazizeit und an die Schoah widersetzt. Je ritualisierter das Gedenken ist – sei es während schulischer Massenveranstaltungen oder während politisch verordneter Festabläufe –, desto fragwürdiger ist sein Ertrag. Die offiziellen Rituale der Erinnerung sind formelhafte und leblose Wirklichkeit, die Marko Zink mit seiner Wirklichkeit herausfordert.

LEILA TOPIC | Text zur Museumsausstellung der Serie M 48° 15′ 24.13″ N, 14° 30′ 6.31″ E im MSU in Zargeb

Die Aporie der Konzentrationslager ist letztendlich die Aporie der Geschichtserkenntnis – die Diskrepanz zwischen Fakten und Wahrheit, die Kluft zwischen Ergründen und Verstehen von Wahrheit. Zink macht sich diesen Spalt zunutze: Unvorbereitete Betrachter*innen wird der ästhetische Reiz einiger seiner Fotografien vermutlich verblüffen. Treten sie näher, wird sie das, was sie über das Gezeigte dank Zinks verschriftlichter Erläuterungen erfahren, zutiefst betroffen machen. Ein Künstler oder eine Künstlerin bringt es zustande, eine Szene darzustellen. Schwierig oder gar unmöglich ist es, das Erleben dessen zu zeigen, was damals wie heute über das Begriffsvermögen hinausgeht. Zink jedoch schafft es gerade aufgrund der aggressiven Techniken, mit denen er das Filmmaterial behandelt, uns die Erlebnisse der nicht erinnerten Schicksale nahezubringen. Er schreibt den menschlichen Körper wieder in die Szenen ein und vermittelt somit eine gewisse Ahnung des sinnlosen Verschwindens.

FÖRDERUNGEN

Zukunftsfond der Republik Österreich | Kulturabteilung Vorarlberg, Österreich | Wien Kultur, Österreich | Kulturland Oberösterreich, Österreich | Bundeskanzleramt, Österreich | Otto Mauer Fonds, Österreich | Nationalfond, Österreich | Bildrecht, Österreich | Mauthausen Memorial , Österreich| Galerie Michaela Stock, Österreich | Gesellschaft für christlich jüdische Zusammenarbeit Osnabrück, Deutschland | Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, Österreich | St. Katharinen, Österreich | Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannover, Deutschland | Bistum Osnabrück, Österreich | Museumsquartier Osnabrück, Deutschland | Evangelische Stiftungen Osnabrück, Deutschland | Hans-Lilje-Stiftung, Deutschland | ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Deutschland | Österreichisches Kulturforum Berlin, Deutschland | Österreichisches Kulturforum Zagreb, Kroatien | MSU – museum of contemporary art, Kroatien

AUSSTELLUNG | Vorarlberg Museum | 2022 – 2023

AUSSTELLUNGSFOTOS | Miro Kuzmanovic 

AUSSTELLUNG | Vertikales Museum | Felix Nussbaum Haus im Museumsquartier, Deutschland | 2022

AUSSTELLUNGSANSICHTEN | Hermann Petermann | Marko Zink

AUSSTELLUNG | MSU – Museum of contemporary art, Kroatien | 2022

AUSSTELLUNGSANSICHTEN | Marko Zink

AUSSTELLUNG | St. Katharinen, Deutschland | 2022

AUSSTELLUNGSANSICHTEN | Marko Zink

AUSSTELLUNG | Dom St. Petrus, Deutschland | St. Nikolaus Kapelle, Deutschland | 2022

AUSSTELLUNGSANSICHTEN | Hermann Petermann | Marko Zink | Michaela Stock

AUSSTELLUNG | Mauthausen Memorial, Österreich | 2019 – 2020

AUSSTELLUNGSVIDEO | Mauthausen Memorial